Die Reise der Ölsardinen – oder Warten auf Pierrot - Maître Philippe & Filles

Die Reise der Ölsardinen – oder Warten auf Pierrot

Philippe Causse

Als wir Anfang August von einem Fernsehredakteur kontaktiert wurden, der einen Beitrag zum Thema Jahrgangssardine drehen wollte und dafür unsere Hilfe benötigte, ahnte ich noch nicht, dass ich nur knappe 2 Monate später erst mit Gummischlappen an den Füßen und einer lindgrünen OP-Haube auf dem Kopf eigenhändig eine Sardine köpfen und ausnehmen würde und mich kurz darauf todesmutig auf einer kleinen Nussschale in 2 Meter hohe Wellen wagen würde, um im Dunkel der Nacht auf Sardinenfang zu gehen ... Doch das Leben hält so manche schöne Überraschung für einen bereit. Beginnen wir am besten am Anfang:

Mit unserer Hilfe konnte das Team um Daniel Mohr (Kabel 1 – Redaktion "Abenteuer Leben") einen Termin bei der Conserverie Gonidec in Concarneau vereinbaren. Von dort beziehen wir die fantastischen Sardinen und Jahrgangssardinen "Les Mouettes d'Arvor". Das Unternehmen wurde 1959 von Jacques Gonidec, I. gegründet. Seit 1996 werden hier die sogenannten Jahrgangssardinen hergestellt und zwar unter der Marke "Les Mouettes d'Arvor", einem nicht mehr existierenden lokalen Fußballverein, dem Jacques Gonidec, II. angehörte. Inzwischen wird es von Jacques Gonidec, III. geführt. Ihn und seine Frau Valérie kannten wir bereits von einer Messe, hatten es bisher jedoch selbst noch nicht bis nach Concarneau geschafft, um sie an ihrer Wirkungsstätte zu besuchen. Ganz selbstlos hatte ich Daniel deshalb meine Dienste als Vermittlerin und Übersetzerin angeboten und so kam es, dass ich das Team begleiten durfte.

Zwei Tage vor der Abreise statteten sie uns einen Besuch im Laden ab, um hier schon erste Szenen zu drehen. Einige unserer Berliner Kunden erinnern sich vielleicht noch an die LED-Lampen, das ungewohnte Equipment, die vielen Kabel und die fremden Männer im Laden ...

Kabel 1 bei Maître Philippe & Filles

Kabel 1 bei Maître Philippe & Filles

Und dann ging es los: ich traf die "Jungs" (Daniel Mohr, Redaktion / Matthias Barth, Kamera / Roland Röhrig, Ton) in Paris am Flughafen. Von dort aus setzten wir unsere Reise bis Brest, und am nächsten Morgen per Mietwagen bis nach Concarneau fort. Für mich war es der erste Besuch in der Bretagne und dementsprechend aufgeregt war ich auch.

In Concarneau besuchten wir Jacques Gonidec in seiner Conserverie und wurden vom Hausherrn persönlich durch die heiligen Hallen geführt, so dass wir bereits einen ersten Eindruck gewinnen konnten.

Noémie et Jacques Gonidec

So richtig los ging es dann aber erst am nächsten Morgen. Die eventuell für diesen ersten Abend geplante Seepartie mit einem Sardinenkutter musste wegen des schlechten Wetters – Sturm mit heftigen Böen, bis zu 3 Meter hohen Wellen und Regen – zunächst verschoben werden.

Und so standen wir am nächsten Morgen relativ ausgeschlafen und pünktlich um 8 Uhr auf der Matte, bereit, uns in unser dem Anlass angemessenes Outfit zu werfen und den Herstellungsprozess der Jahrgangssardine von Anfang bis Ende zu begleiten.

In der Conserverie Gonidec

Der beginnt mit der Anlieferung der Sardinen, die in der vorangegangenen Nacht vor Concarneau oder einer der anderen nahe gelegenen Städte (Lorient, Brest, Quiberon) gefangen wurden.

Die noch unverarbeiteten frischen Sardinen am Morgen

In der Conserverie werden sie zunächst gewaschen und dann in den sogenannten "Dirty Room" gebracht. Dort entfernen die Arbeiterinnen den Fischen von Hand und mit einem spitzen Messer die Köpfe und Gedärme. Die Handgriffe sind geübt und alles geht so rasch von statten, dass man fast nicht mitbekommt, was wirklich geschieht. Ich durfte mich auch einmal daran versuchen und musste konstatieren, dass es gar nicht so einfach geht. Es kommt dabei nämlich darauf an, mit einem schnellen und präzisen Schnitt die Mittelgräte, gewissermaßen im Nacken zu durchtrennen und dann, ohne abzusetzen, mit einem entschlossenen Zug die Gedärme aus dem Bauch zu ziehen. Dabei ist es elementar wichtig, die Gedärme nicht zu zerschneiden und vor allem auch wirklich alles zu entfernen, denn die Gedärme sind für den menschlichen Organismus nicht gut verdaulich. Bei billigeren Produkten erledigen Maschinen diese Aufgabe und denen gelingt es oft nicht, so gründlich, sorgfältig und behutsam zu sein wie die geübten Arbeiterinnen. Das erklärt, unter anderem, warum von Hand verarbeitete Sardinen so viel besser schmecken. Meine ersten zwei Versuche scheitern eher kläglich und entlocken Monsieur Gonidec den Kommentar, ich müsse die Sardine mit mehr Respekt behandeln. Er zeigt mir, wie vorsichtig ich den Fisch anfassen muss und vor allem wo: der Daumen muss knapp unterhalb der Kiemen ansetzen, die restlichen Finger dürfen die Sardine nur sanft umschließen. So geht es tatsächlich besser und die dritte von mir ausgenommene Sardine schafft es in die Reihe derer, die zum nächsten Schritt weiter wandern.

Als nächstes werden die Sardinen noch einmal in Salzwasser gewaschen, bzw. für ca. 3 Minuten eingelegt. Anschließend werden sie in einer speziellen Trocken-Anlage bei 57°C getrocknet. Durch diese zwei Arbeitsschritte, die Teil der Zubereitung "à l'Ancienne" sind, bildet sich eine dünne Salzkruste um die Sardine, die beim anschließenden Frittieren in 100°C heißem Sonnenblumenöl schön kross wird. Viel wichtiger ist aber, dass diese krosse Haut die Sardine vor dem Austrocknen bewahrt, denn unter der Haut befindet sich eine dünne Fettschicht, die – wenn sie denn bestehen bleibt – dafür sorgt, dass die Sardine schön saftig und dadurch aromatisch ist. Auch das ist ein Schritt, den immer weniger Conserverien noch vornehmen. Damit sparen sie zwar Produktionskosten ein, doch ihre Produkte verlieren deutlich an Qualität und Geschmack.
Nachdem die Sardinen frittiert sind, werden sie für mindestens 2 Stunden abgehangen, damit sich später das Sonneblumen- und das gute Olivenöl nicht miteinander vermischen.

Die frittierten Sardinen

Im nächsten, sehr viel kühleren Produktionsraum nebenan, geht es nach der Mittagspause weiter. Als wir von unserem Lunchbreak mit Monsieur und Madame Gonidec (im "La Coquille", einem sehr hübschen und gut besuchten Restaurant am Hafen von Concarneau, in dem die Gonidecs mit Küsschen begrüßt werden) zurück kehren, stehen die fleißigen Arbeiterinnen schon wieder am Laufband.

Anlage im Produktionsraum der Conserverie Gonidec

Heute wird eine besondere Edition produziert: die Jahrgangssardinen der Sonder-Sammelserie "Brest 2016". Eine wirklich schöne Dose, die wir sicher auch bestellen werden, wenn es so weit ist.

Die Sonderedition "Brest 2016"

Jetzt werden die Sardinen noch einmal beschnitten, diesmal mit der Schere, wieder von Hand. Ein bisschen vom Schwanz und vom Kopfende muss noch ab. Einerseits, damit die Sardinen genau in die Dose passen, andererseits, um ein wirklich sauberes und einwandfreies Produkt zu erhalten. Anschließend werden die Dosen mit feinstem kalt gepresstem Olivenöl befüllt, bevor sie mit Deckel versehen und dann in einer Spezialanlage für eine Stunde und 40 Minuten bei 120°C sterilisiert werden.

Die Jahrgangssardinen auf dem Weg zum ÖlDie Sardinen werden mit Öl bedeckt

Wir saugen alle Informationen wissbegierig und neugierig auf, interviewen die Arbeiterinnen, schießen Fotos und staunen über die Ausgeklügeltheit der Anlagen und die Fingerfertigkeit der Damen am Fließband. Viele von ihnen arbeiten bereits seit 18 oder 20 Jahren in der Fabrik und haben bereits unter Monsieur Gonidecs Vater angefangen. Ich kann mir das wahrlich nur schwer vorstellen, denn es wird einem wirklich schnell klar, dass es sich hier um einen Knochenjob handelt ...

Leiste mit den persönlichen Scheren und Messern der Arbeiterinnen

Leider schwang aber den ganzen Tag über auch die bange Ahnung mit, dass es diesmal wieder nicht klappen würde, einen Sardinenkutter bei seinem nächtlichen Fang zu begleiten, denn tatsächlich hatte sich die Wetterlage noch verschlimmert und erneut wollte uns kein Kapitän mitnehmen. Im Nachhinein muss ich gestehen, dass ich darüber ganz froh bin, jetzt wo ich weiss, wie sehr ein Schiff auch bei weniger Seegang schaukelt ...

Wir mussten uns also so langsam mit dem Gedanken anfreunden, dass wir diese Etappe auf der Reise der Jahrgangssardine wohl nicht mehr live miterleben würden und gingen etwas geknickt ins Bett.

    Über Nacht legte sich dann aber der Sturm und so erreichte uns, als wir gerade schon auf dem Weg zum Flughafen waren, ein Anruf von Monsieur Gonidec: er hatte einen Kapitän gefunden, der am Abend rausfahren würde und auch bereit wäre, uns an Bord zu nehmen. Wir gönnten uns eine kurze Jubelpause, dann stieg der Tonmann auf die Bremse und machte kehrt. Daniel tätigte schnell ein paar Anrufe, um unsere Reise kurzfristig um einen Tag zu verlängern und schließlich programmierten wir unser lispelndes Navi auf Lorient um. Denn dort würden wir am Abend Pierrot le Pluhart treffen, den Kapitän des Sardinenkutters "L'Étoile Polaire" – der Polarstern.

    L'étoile polaire im Hafen von Lorient

    Als es endlich so weit war, konnte ich es kaum glauben. Nach zwei Tagen des Wartens mit ungewissem Ausgang stand ich in meinem Angler-Outfit, ausgerüstet mit trocken Brot und Reisekaugummis am Hafen, als Pierrot und seine Jungs eintrafen.

    Die Crew belädt den Kutter

    Pierrot ist 61 Jahre alt und fährt seit 1968 zur See. Eigentlich ist er schon seit 5 Jahren pensioniert, aber er kann einfach nicht an Land bleiben. Jetzt hat er sich zwar fest vorgenommen, innerhalb des kommenden Jahres aufzuhören, aber nachdem ich ihn ein bisschen kennenlernen durfte, bin ich mir nicht so ganz sicher, ob er dieses Vorhaben auch wirklich in die Realität umsetzen wird. Auf meine Frage, was denn seine Frau dazu sagt, dass er jeden Abend rausfährt, sagte er nur: "Sie weiß, dass ich es liebe. Also hat sie nichts dagegen."

    Die 8-köpfige Crew um Pierrot ist auffallend jung, alle sind Anfang bis Mitte zwanzig und hochmotiviert. Er hat sich seine Jungs vor etwa 3 Jahren zusammen gesucht und ist sehr zufrieden mit ihnen. Einige kennt er schon seit sie kleine Jungs waren, da ihre Väter ebenfalls Fischer waren und teilweise mit Pierrot zur See fuhren. Die Crew ist perfekt aufeinander eingespielt. Wenn es ernst wird, sitzt jeder Handgriff und die Kommunikation funktioniert auch mit wenigen Worten.

    Im Hafen wird das Eis aufgefüllt, mit dem die Sardinen frisch gehalten werden

    Die Stimmung auf dem kleinen Kutter ist von Anfang an gut und wir fühlen uns sehr willkommen. Alle geben bereitwillig Auskunft und erklären uns ausführlich, wie alles funktioniert. Und so fahren wir – nachdem wir schnell noch getankt und Eis geladen haben – bei noch blauem Himmel und etwas Sonnenschein aus der Bucht. Das Meer scheint ruhig und ich kann mir noch immer nicht vorstellen, dass es später wilder wird. Doch kaum verlassen wir die Bucht, warnt Pierrot auch schon, dass es jetzt schaukeln wird. Und er hat Recht: kaum begeben wir uns aufs offene Meer, schon rollen die Wellen und türmen sich bis zu etwa 1,70m auf. Die kleine Nussschale nimmt jede Welle mit, stürzt in ihre Täler und reitet ihre Abhänge hinauf. Das Boot schaukelt nicht nur von oben nach unten, sondern auch von links nach rechts und ich bin froh, dass alle Fischtanks gut vertäut sind. Pierrot sitzt teetrinkend auf seinem Kapitänsstuhl in der Kanzel und von der Mannschaft ist nichts mehr zu sehen: sie haben sich in die Kajüten in den Schiffsbauch verzogen, in dem es wohl keiner von uns vier Neulingen auch nur eine Sekunde aushalten würde. Wir starren auf den Horizont und geben uns große Mühe, die Contenance zu bewahren. Wenn diese vergleichsweise kleinen Wellen schon so eine Wirkung haben, bin ich wirklich froh, dass wir nicht auf eine Ausfahrt an einem der vorigen Tage bestanden haben. Und ich bin dankbar für meine Gummistiefel!

    Outfit-Shopping für alle Fälle ... :)Meine Gummistiefel

    Nach etwa anderthalb Stunden – die Sonne hat sich schon fast vollständig verzogen – entdeckt Pierrot an der vermuteten Stelle, die er schon die letzten Tage angesteuert hat, einen großen Fleck auf seinem Sonar. Er vermutet, es könne sich um einen Sardinenschwarm handeln. Gerade erklärt mir einer der Schiffsjungs noch das Prinzip der "pêche à la bolinche" (die traditionelle bretonische Art des Fischfangs mithilfe eines speziellen Netzes), als auch schon das Stichwort "boué!" (Boje) durch die Nacht hallt. Ab da geht alles ganz schnell und ehe wir uns versehen, zappeln schon die ersten silbernen Sardinen im Netz.

    Die Sardinen im NetzDie Sardinen im Netz Die Sardinen im Netz

    Mit nur einem Mal fangen "wir" an diesem Abend 5 oder 6 Tonnen Sardinen von ansehnlicher Größe So genau weiß das hinterher keiner mehr ... Etwa 600 Kilo davon werden noch in der Nacht für 2 - 3 € pro Kilo an lokale Fischverkäufer verkauft. Der Rest geht am frühen Morgen für 0,75 € an den Großhandel und die Conserverien. Die Hälfte "unseres" Fangs wird Jacques Gonidec kaufen und daraus seine Jahrgangssardinen machen.

    Unser Fang auf EisFrisch gefischte Sardinen Makrele, Sardine, Sardelle

    Exkurs: La pêche à la bolinche
    Diese Art des Fischfangs ist eine bretonische Tradition, die einen schonenden Fischfang fast ohne Beifang erlaubt und den Meeresgrund nicht zerstört. Das Netz ist aufgebaut wie ein großes, breites Band, an dessen einen Seite Schwimmer befestigt sind und auf der anderen Seite schwere Eisenringe, durch die das Netz bis zu 40 Meter tief sinkt. An diesen Ringen sind an beiden Enden außerdem Seile befestigt, mit denen das Netz unten geschlossen wird. Ein Endes des Netzes ist fix am Boot montiert, am anderen Ende ist eine Boje befestigt. Diese wird ins Wasser geworfen, wenn ein Sardinenschwarm auf dem Sonar erscheint. Anschließend fährt das Boot einen schnellen Kreis, so dass das Netz ins Wasser gleitet und sich – um den Fang – zusammenzieht. Nun kann das volle Netz hochgezogen werden, bis die Fischer mithilfe eines kleinen Krans und eines kleinen Netzes, das nach dem gleichen Prinzip funktioniert, die Fische wie mit einer Schöpfkelle aus dem Netz angeln und an Bord in Eiswasser-Tanks umfüllen können.

    Das Netz in Zahlen:

    • Maße: 330x83m
    • Erreichbare Tiefe: 40m
    • Kosten: ca. 30.000€
    • Gewicht: 1,5t

    Erschöpft, glücklich, hungrig und etwas wackelig auf den Beinen kommen wir gegen Mitternacht wieder am Hafen an. Jetzt heisst es Abschied nehmen von Pierrot und seinen Jungs. Vielleicht wird der Abschied aber gar nicht von allzu langer Dauer sein, denn gemeinsam mit meinem Vater und meiner Schwester planen wir schon im Juni eine gemeinsame Reise durch die Conserverien – von Concarneau (Gonidec, Les Mouettes d'Arvor) über Quiberon (La Quiberonnaise und La Belle-Iloise) nach Saint-Gilles-Croix-de-Vie (La Perle des Dieux). Sicher werden wir dann auch einen Abstecher in den Hafen von Lorient machen, um zu sehen, ob Pierrot noch am Steuerrad sitzt und uns drei Landratten wieder mit an Bord nimmt ...

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    Noch ein paar Impressionen:

    Im Hafen von ConcarneauIm Hafen von Concarneau Im Hafen von Concarneau Abendstimmung im Hafen von Concarneau Abendstimmung im Hafen von Concarneau Grafitti im Hafen von Lorient Möwen im Hafen von LorientDie "Crew" unterwegs in Concarneau

    Für alle, die lieber zusehen als lesen, hier ein kurzer Film zur Reise:

    Die ganze Sendung auf Kabel Eins können Sie hier in der Kabel Eins-Mediathek anschauen.
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